Nun ist es wieder einmal vorbei, das Weihnachtsfest, das Fest der Liebe und der Familie.
Und auch wenn es unter diesen Umständen vielleicht nicht möglich war mit den Liebsten gemeinsam zu feiern, so hätte sich doch der ein oder andere bestimmt gewünscht diese Tage mit der Familie zu verbringen.
Aber was bedeutet es eigentlich, eine Familie zu sein? Was zeichnet eine Familie aus? Wenn ich an das Wort „Familie“ denke, wandern meine Gedanken direkt zu meinen Eltern und meiner Schwester und schließlich auch zu meinen Großeltern, Tanten, Onkel, Cousine und Cousins. Reicht das nun schon, um eine Familie zu sein? Ist eine Familie einfach eine Gruppe von Menschen, die miteinander verwandt sind?
Für mich gehört zu einer Familie definitiv noch mehr als eine einfache Aufzählung von Personen. Ich finde, eine Familie zeichnet sich durch ihr Miteinander und das füreinander Sorgen aus. Insbesondere den Eltern kommt die verantwortungsvolle Aufgabe zu, sich um ihre Kinder und deren Bedürfnisse zu kümmern. Dazu gehört neben einem sicheren Zuhause, sättigenden Mahlzeiten und sauberem Trinkwasser auch die Vorbereitung auf ein selbstständiges Leben. Angefangen von sozialen Kompetenzen über schulisches Wissen bis hin zur Haushaltsführung zählen viele verschiedene Aspekte hinzu.
Was jedoch für mich in keiner Familie fehlen darf, ist das Gefühl von Liebe und Geborgenheit, die einem durch die Familienmitglieder geschenkt wird. Einfach man selbst sein zu dürfen und mit all seinen Vorzügen und Macken akzeptiert zu werden. Diese sichere Basis, von der aus man die Welt erkunden und zu der man immer wieder zurückkehren darf.
Dieses Gefühl gab mir damals auch die Kraft als Freiwillige von Aktion Lichtblicke Ghana e.V. für ein Jahr nach Ashaiman, Ghana, zu ziehen. Dort durfte ich eine Familie der ganz besonderen Art kennen und lieben lernen: die Rays-of-Hope-Familie. Zu ihr gehören Kinder und Jugendliche, deren Bedürfnisse nicht vollständig durch ihre leiblichen Familien gedeckt werden können. Insbesondere verkaufen sie auf dem Markt Orangen oder tragen schwere Ware für andere anstatt eine Schule zu besuchen, um die finanzielle Situation ihrer leiblichen Familie zu verbessern. Genau zu diesen Kindern baut der Sozialarbeiter des „Rays of Hope Centre“ (ROHC) Kontakt auf. Er besucht sie in den Straßen und zu Hause, lädt sie ins Projekt ein, redet mit den Eltern oder Verwandten und so beginnen die Kinder Teil des Projekts, Teil der ROHC-Familie zu werden.
All die neuen Schützlinge, die in die Familie aufgenommen werden, besuchen zunächst den projektinternen Vorschulunterricht im First Contact Place (FCP), der ersten Anlaufstelle des Projekts in Ashaiman. Hierbei bemühen sich die Vorschullehrer*innen sie an einen geregelten Tagesablauf zu gewöhnen und ihnen Grundlagen in Englisch und Mathematik zu vermitteln. Außerdem sorgt die Köchin täglich für das leibliche Wohl der Neuankömmlinge und der Mitarbeiter*innen.
Nach etwa einem Jahr sind die neuen Schützlinge bereit für den Besuch einer öffentlichen Schule. Jedoch werden die Kinder nicht einfach so sich selbst überlassen. Nach dem Unterricht kommen sie wieder zum FCP, um ihre Hausaufgaben zu erledigen.
Einige der Projektkinder leben während der Schulzeit im WEM-Centre, dem zweiten Standort des Projekts im kleinen Dorf Ayikuma. Hier kommt sogar noch ein stärkeres Familiengefühl auf, denn die Kinder verbringen die Tage wie in einer „normalen“ Familie. Dazu tragen unter anderem die Mitarbeiter*innen des Projekts bei, die sich täglich um ihre Schützlinge kümmern, sich ihren Problemen annehmen oder sie mit leckerem Essen verköstigen. Gleichzeitig tragen sie dafür Sorge, dass alle Kinder pünktlich zur Schule losgehen oder ihre Haushaltspflichten erfüllen, wie die Eltern in einer Familie eben. Nichtsdestotrotz kommt der Spaß nicht zu kurz. Spontane Tanz-Einlagen, Fußball-Training und das Feiern von Festen gehören genauso zum Leben im WEM-Centre.
Was diese besondere Familie darüber hinaus auszeichnet, ist der geschwisterliche Zusammenhalt zwischen den Schützlingen. Die Älteren kümmern sich um die Jüngeren, würden füreinander einstehen und pflegen trotz kleinerer Zankereien einen liebevollen Umgang miteinander.
Und wenn nach den Schulferien die Kinder wieder ins Projekt kommen oder mit allen gemeinsam ein besonderes Fest gefeiert wird, bekommt man direkt das Gefühl wieder zu Hause angekommen zu sein. Das geht nicht nur den Schützlingen so. Auch ich durfte diese Erfahrung machen, als ich knapp eineinhalb Jahre später wieder nach Ghana flog, um das Projekt zu besuchen. Obwohl ich nur ein Jahr als Freiwillige im „Rays of Hope Centre vor“ Ort war, wurde ich bedingungslos mit offenen Armen und großer Freude empfangen. Genau, wie es in einer Familie sein sollte!
(Sabrina, ehemalige Freiwillige 2016/17)